Arne Kind

Segler zwischen zwei Welten

Sie war ihm schon als Junge aufgefallen. Arne Kind ist zwölf Jahre alt und segelt eine Jolle in einer Regatta auf der Schlei in Schleswig-Holstein. In Schräglage, mit geblähten Segeln zieht ein elegantes Holzboot an ihm vorbei und erobert sein Herz. Es ist die OHO mit einem markanten roten Karo im Segel. Bereits damals gehört der majestätische Karokreuzer zu den Klassikern. So ein Boot, denkt sich Arne, so ein wunderschönes Boot möchte ich auch einmal haben.

Ungefähr vier Jahrzehnte später sieht Arne die OHO wieder. Die stolze Jacht von damals trägt nun eine dicke Kunststoffhülle. Der leidenschaftliche Segler und gelernte Bootsbauer Arne ist mittlerweile ein gefragter Unternehmensberater für SAP-Systeme und ist gerade auf der Suche nach einem neuen Boot. Noch ahnt er nicht, dass sich für ihn mit diesem Boot bald ein großer Traum erfüllt.

Ich eigne mir Dinge an und sie werden mein Eigen. Nicht durch das Kaufen werden sie meins, sondern weil ich sie bearbeite und bis in den letzten Winkel kennenlerne.

Arne verliert seinen Vater als Achtjähriger. Ein schwerer Schlag für den Jungen. Die Familie zieht ins Sauerland und Arne wird das Herz noch schwerer. Erst als es zwei Jahre später wieder zurück an die See geht, wird Arne wieder froh. Erfinder will er werden, doch in der Schule geht es auf und ab. Nach der 10. Klasse beschließt er, das Gymnasium zu verlassen, um Bootsbauer zu lernen, wie sein Vater. Für Arne eine der schönsten Arbeiten überhaupt.

In der Ausbildung wendet er sich auch seinem Herzensthema zu: dem Erfinden neuer Dinge. Und so belässt er es nicht beim reinen Handwerk, sondern verbessert nach und nach verschiedene Verfahren, entwickelt eigene Werkzeuge. Das bringt Erleichterung bei der Arbeit und sein Meister lässt ihm freie Hand.

Für das Gesellenstück zum Abschluss seiner Lehre wird das Wohnzimmer der Wohngemeinschaft zur Bootswerft umgerüstet. Seine Mitbewohner, ebenfalls Lehrlinge mit einigem Erfahrungsvorsprung, verweigern ihm allerdings die Unterstützung: „Nö, das ist ja dein Gesellenstück, da musst du alleine durch.“ Zwischen abgedeckten Möbeln und Lautsprechern feilt er tagelang an der Konstruktion eines englischen geklinkerten Dingis aus Mahagoni. „Eines Abends lag ich unterm Boot und mich überkam das Gefühl, dass ich gerade das Schönste mache, was ich im Leben machen kann. Ich dachte mir, du lernst das Richtige. Du lernst deinen Traumberuf.“ Mit dem Beiboot auf dem Dach seines Opel Kadett kommt Arne zur Gesellenprüfung und besteht mit Bravour.

Wie aber gelingt der Schritt vom Bootsbauer zum Erfinder? Ein Maschinenbaustudium wäre die logische Voraussetzung, aber zunächst muss er das Abitur nachholen. Das Internat Louisenlund mit seiner gut ausgestatteten Segelabteilung scheint dafür genau der richtige Ort zu sein. Das hohe Schulgeld kann seine Familie nicht aufbringen, aber Arne weiß sich zu helfen. Er bietet dem Direktor an, die Boote im Gegenzug für den Erlass der Schulgebühren in Schuss zu halten. Der Deal klappt und für Arne öffnet sich eine neue Welt. Ein Mitschüler hat einen der ersten Computer aus Japan. Wie elektrisiert von der neuen Technologie bringt Arne sich das Programmieren bei. Als ihm seine Schwester zum Studium noch einen Computer schenkt, verfällt er der neuen Leidenschaft ganz. Besessen von der Komplexität, beseelt davon, neue Lösungen und Wege zu finden. Arne geht nach Berlin, studiert Wirtschaftsingenieur, ein Doppelstudium mit Maschinenbau und Betriebswirtschaftslehre und jobbt nebenher als Computerfachmann.

Mir kann es gar nicht komplex genug sein. Mein Gehirn erfreut sich an hypervernetzten Systemen. Ich kann allerdings viel besser analytisch arbeiten und klar denken, wenn ich parallel dazu körperlich arbeite. Der Bootsbau hat für mich ganz viel mit Herz und Emotion zu tun. Diese beiden Welten gehören bei mir zusammen.

Bei einer Familienfeier erfährt Arne, dass ein Holzboot zum Verkauf steht. Nicht irgendeins, sondern die OHO! Der alte Diercks muss die Yacht aus gesundheitlichen Gründen abgeben und will sie in guten Händen wissen. Unter der Auflage „Wenn du sie wieder schön machst!“, erhält Arne den Zuschlag.

Ich habe das Schiff als Bootsbauer untersucht und trotzdem nicht begriffen, wie kaputt es eigentlich schon war. Ich wollte nur ein neues Deck aus Teakholz drauflegen und es wurde eine komplette Restaurierung daraus.

Erst in der Werkstatt kommt der marode Zustand der rund 80 Jahre alten Dame ans Licht. Unter ihrer mit Glasfaser verstärkten Kunststoffhülle haben die Planken und die tragende Struktur der Steven und Bodenwrangen sehr gelitten. Immer abends nach dem Büro und am Wochenende macht er sich ans Werk. Wird wieder zum Bootsbauer. Mit einem Diamantschleifer schält er die OHO aus ihrer Verkleidung. Schicht um Schicht kommt ihre wahre Schönheit zum Vorschein. Die körperliche Arbeit tut Arne gut, denn seine Kinder vermisst er gerade sehr. Nach seiner Scheidung sind die beiden mit ihrer Mutter nach Österreich gezogen. Spant um Spant tauscht Arne aus, plankt den halben Rumpf in Mahagoni neu auf. Und heilt dabei nicht nur die Jacht, sondern auch sich selbst.

Vom Holzrumpf war gar nichts mehr da, das war alles in Glasfaser verpackt. Das herunter zu holen, war eine Wahnsinnsarbeit. Dick in Schutzausrüstung eingepackt habe ich 14 Tage durchgearbeitet, bis es geschafft war. Und auf einmal steht da wieder ein Holzboot!

Akribisch arbeitet er jede freie Minute an dem Schiff. Fünf Jahre harte Restaurierungsarbeit. Als seine Projekte als Berater heiß laufen, schafft es Arne zwischendurch monatelang nicht zu seinem Boot. Mehrmals spielt er mit dem Gedanken, sich einen anderen Bootsbauer für die Fertigstellung zu suchen. Aber seine OHO in fremde Hände geben? Für Arne ist das unvorstellbar. „Über die Jahre habe ich immer wieder gegen den Rumpf geklopft. Ja, der Klang des Bootes verändert sich.“

Mittlerweile ist das Schiff fast fertig restauriert. Nur ein paar Mahagoniplanken an der Außenhaut sind noch original. 2500 Stunden, 200 Quadratmeter Furnier, ein Kubikmeter Mahagoni, 100 Kilogramm Harz und rund 30 Liter Lack hat Arne bisher in sie investiert. Deck, Aufbauten und Mast stehen noch an und werden voraussichtlich bis zum nächsten Jahr ergänzt.

Ich stelle mir vor, wie es sein wird, wenn ich nach der Schiffstaufe das erste Mal mit ihr ablege und die Segel hochziehe. Das wird wunderbar.

Mit seiner Frau Janine segelt er jede freie Minute. Sohn Luca, der nun wieder bei ihm wohnt, ist sein Vorschoter bei Regatten. Arne plant, noch eine Zeit lang weiter als Berater zu arbeiten. Vielleicht bis er 70 ist oder ein paar Jahre länger. Danach will er wieder Bootsbauer sein. „Ich möchte auf jeden Fall Bootsbaukurse für Kinder machen. Für Jungen und Mädchen verschiedenen Alters und aller Herkunft. Für mich käme das ganze Glück zusammen, wenn ich jungen Menschen dieses Handwerk vermitteln könnte. Damit möchte ich meinen Lebensabend verbringen.“

Interview: Caroline Pusch
Fotos: Deniz Saylan