Marcella Hansch

Die Stimme des Meeres - für eine saubere Zukunft

Am zweiten Tag nach ihrer kurzen Elternzeit, die natürlich keine echte Pause war, gibt uns Marcella Hansch ein Interview. Gleich merken wir, dass diese Frau für ihr Thema brennt. Sie möchte die Ozeane vom Plastikmüll befreien und erreichen, dass dort erst gar nicht so viel landet. Man könnte jetzt sagen, dass man das alles schon mal gehört hat. Ja, bestimmt. Aber Marcella Hansch ist keine Idealistin, die nur Impulse gibt – sie und ihre Mitstreiter liefern Lösungen.

Ihr Start-up heißt everwave (ehemals Pacific Garbage Screening) und ist längst schon zu einer Bewegung geworden. Alles richtet sie an ihrem Traum aus:

Ich möchte, dass sich das Bewusstsein der Gesellschaft verändert, und zwar hin zu einem nachhaltigeren Denken und Handeln im Alltag. Dabei geht es nicht darum, dass Einzelne alles perfekt machen, sondern dass jeder einen noch so kleinen Beitrag leistet. Am Ende zählt das viel, viel mehr.

Sensibilisiert hat sie ein Tauchgang im Urlaub vor Kap Verde, wo sie statt mit Fischen mit Plastikmüll schwimmt. Zurück an Land fällt ihr der verschmutze Strand auf, das Plastik auf den Straßen und in den Haushalten. Und auch in ihrer eigenen Küche. „Wenn man einmal darauf achtet, dann begegnet einem Plastik überall.“ Sie fängt bei sich selbst an, hinterfragt ihren Konsum. „Das Thema hat mich nicht mehr losgelassen“, sagt sie rückblickend. „Aus dem kleinen Mittagspausen-Thema wurde dann ein Herzensprojekt, das mich nachts, am Wochenende, morgens, abends, im Urlaub, komplett begleitet hat.“

Und es wird auch Thema ihrer Masterarbeit. Marcella studiert damals Architektur und fragt sich, „warum Architektur nicht auch schwimmen kann?“ Sie möchte eine Plattform entwickeln, die es ermöglicht, Plastik aus dem Meer zu sammeln. Sie recherchiert und befragt Experten, dafür bleiben ihr sechs Monate Zeit. Nach dem Besuch von Kläranlagen kommt ihr die Idee. In Sedimentierbecken wird das Wasser beruhigt, sodass Sedimente sich unten absetzen können. Dieses Prinzip nimmt sie auf und dreht es um. In ihrem Entwurf wird das Wasser beruhigt, damit Plastikteile aufsteigen und abgeschöpft werden können. Das war 2013.

Marcella wird eingeladen, Vorträge zu halten und auf Messen zu sprechen. In diesem Mikrokosmos bekommt sie häufig positives Feedback, muss sich aber auch mit Skeptikern auseinandersetzen, die ihr Alter belächeln und die Umsetzbarkeit in Frage stellen. Aber gerade das weckt ihren Kampfgeist. „Jetzt erst recht. Ihr könnt sagen, was ihr wollt. Ich zeige euch, dass man das als junge Frau machen kann!“ Sie wird bekannter und sie wird gehört. „Ich bin für Preise nominiert worden und so wurde das Schritt für Schritt immer größer“, sagt sie jetzt. Bald findet sich ein Team, dessen Mitstreiter ebenfalls ihre Abschlussarbeiten ihrer Idee widmen und dabei untersuchen, ob sie wirklich funktionieren kann. Dem Institut für Wasserbau in Aachen stellt sie das Projekt in der Mittagspause vor, es ist bis heute einer der Forschungspartner.

Zu Beginn arbeitet Marcella noch als Architektin. Doch jede freie Minute wird in ihr Projekt investiert. Sogar ihren Jahresurlaub verbringt sie auf einer Vortragsreise in Indien. Es ist eine intensive Zeit. Ein großes Crowdfunding vor zwei Jahren bringt den Wandel: Das Team kann Mitarbeiter einstellen und nun in Vollzeit an der Umsetzung arbeiten. Auf finanzielle Unterstützung sind sie weiter angewiesen. „Wir finanzieren uns auch heute noch überwiegend von privaten Spenden und kleinen Kooperationen. Aber ich bin ein positiver Mensch und wenn die Finanzierung wieder schwierig wird, dann denke ich mir, gut, dann müssen wir eben weitermachen und noch mehr Leute fragen“, erklärt sie ihre Motivation.

Der Großteil des Plastikmülls kommt über die Flüsse ins Meer. „Wenn wir hinten aufräumen, praktisch ganz am Ende, dann werden wir nie nachhaltig etwas ändern“. Also überarbeiten Marcella und das Forschungsteam das Konzept. Sie verlegen den Einsatzort vom Meer in die Flüsse. Sie möchten das Thema auch noch ganzheitlicher angehen, die Menschen erreichen, sie abholen. everwave setzt dabei auf technologische Innovation und ökologische Inspiration.

Jedes Kilo Makroplastik, das wir rausholen, ist ein potentielles Kilo Mikroplastik. Aber als Makroplastik können wir es leichter rausholen.

Im letzten Sommer ist es endlich soweit: Das erste Müllsammelboot kommt in der Slowakei zum Einsatz. Bis zu 20 Tonnen Müll können von so einem „CollectiX“-Boot eingesammelt werden. Für dieses Boot haben sie sich einen strategischen Partner an Bord geholt. Jeder macht, was er am besten kann: everwave liefert das Know-how, der Mähboote-Hersteller Berky baut die Boote. Gleichzeitig wird die Plattform für Flüsse weiterentwickelt und mit Drohnen ergänzt, die Kunststoffe aus der Luft erkennen können. Aber was geschieht dann mit dem gesammelten Müll? Das Team arbeitet auch daran, wie sich Kunststoffe mikrobiologisch aufarbeiten lassen, damit daraus ein neuer Rohstoff wird. Zusätzlich setzen sie auf Umweltbildung und bieten EmergenSEA Kits für Schulklassen an. „Viele Kinder kennen das Meer noch nicht. Wenn man etwas nicht kennt, dann baut man dazu auch keine Verbindung auf und es ist einem eher egal“, bringt sie es auf den Punkt. Und die Kinder lernen auch, dass Kunststoff nicht per se schlecht ist.

Gerade im Bereich Nachhaltigkeit ist Plastik manchmal die beste Alternative, aber natürlich nur, wenn es bewusst eingesetzt wird.

Als Nächstes in der Planung sind weitere Pilotprojekte in Asien und Afrika. Vieles hängt davon ab, ob sie Finanzierungen finden. Wichtig ist Marcella und ihrem Team, dass sie nicht wie eine Special Unit vor Ort alles wegräumen und das war es dann. „In der Slowakei haben wir auch NGOs und lokale Medien eingeladen, um aufzuzeigen: Das ist euer Müll. Wie kann man das in Zukunft vermeiden? Wir haben lokale Politiker eingebunden und auch die Bevölkerung“, erklärt sie das Vorgehen vor Ort. Nur so kann man nachhaltig etwas bewegen und auch verändern.

Sie geben dem Meer eine Stimme und diese Stimme können Sie immer nutzen...

„Egal was aus Ihrer Technologie mal wird und ob Sie es so bauen oder anders – ganz egal. Was am wichtigsten ist, Sie geben dem Meer eine Stimme und diese Stimme können Sie immer nutzen“, gibt ihr die große Ozeanografin und Meeresaktivistin Sylvia Earle vor Jahren mit auf den Weg. Sie trifft sie auf einer Konferenz. Seither trägt sie diese Worte wie ein Mantra in ihrem Herzen. Es geht Marcella nicht darum, sich selbst zu verwirklichen, sondern für das Meer zu sprechen. Jetzt umso mehr, denn es geht auch um die Zukunft ihrer Tochter.

Interview: Caroline Pusch
Fotos: Deniz Saylan & everwave