Thilo Scholze

Sammle lieber ungewöhnlich ...

Thilo Scholze ist ein Jäger, ein Sammler mit einem Gespür fürs Ungewöhnliche. Seine Frau Eva kümmert sich um den Verkauf der Objekte. Wir treffen die beiden in ihrem Antiquitätenladen in München. Wer aber Zuckerdosen oder gefällige Möbel sucht, der wird hier nicht fündig. Sie haben sich auf alte Sportgeräte und Industriemöbel spezialisiert. Wie kommt man darauf und was hat das mit seinem Lebenstraum zu tun?

„Es geht mir nicht darum, die Dinge zu besitzen. Ich will sie finden, ich will sie entdecken und dann verlassen sie mich auch irgendwann wieder. Ich möchte aber jedes Stück in der Hand gehabt haben“, sagt er und meint damit nicht nur seine Objekte im Laden bzw. im Lager, sondern auch Stücke, die bei ihm zuhause wohnen. Letzteres sieht Eva teilweise anders, aber sie hat sich im Laufe der Jahre damit arrangiert. Seine Frau ist ein großer Bestandteil seines Lebenstraums.

Die beiden verbindet nicht nur die Liebe zu ihrer Arbeit, sondern auch ihre Herkunft. Beide kommen aus der ehemaligen DDR, beide haben den Pflegerberuf erlernt und sich darüber auch kennengelernt. Nicht im Osten, sondern in Stuttgart. Dort lag auch lange Zeit ihr Lebensmittelpunkt.

Mein Traum war es immer, selbstständig zu arbeiten, unabhängig von der Branche. Ich will mir nicht von irgendjemandem vorschreiben lassen, was ich zu tun und zu lassen habe. Und wo ich hindarf und wo nicht.

Mit 22 Jahren stellt er einen Ausreiseantrag und hofft, dass er und seine Freunde die Jahrtausendwende in Paris unter dem Eiffelturm feiern können. Mehrfach wird sein Antrag abgelehnt, er muss Schikanen in Kauf nehmen und wird zum Verhör abgeholt. Erst anderthalb Jahre später, kurz vor dem Mauerfall, wird seine Ausreise endlich genehmigt. Er verlässt Halle an der Saale und zieht nach Stuttgart. Dort hat er Freunde, die im Antiquitätenhandel tätig sind. Thilo steigt mit ein.

Ich möchte unterwegs sein. Ich formuliere es gerne so: Ich kann so arbeiten, wie andere Urlaub machen.

In den Anfangszeiten ist er nur mit dem Auto unterwegs, um die Ware direkt mitzunehmen. So kommt es dazu, dass er auch mal mit einem ausgestopften Wildschwein auf dem Beifahrersitz und sperrigen Tischen auf dem Autodach durch halb Europa fährt. Bald erweitert er seinen Reise-Radius. Er lebt seinen Traum. Er kann reisen, wohin er möchte.

Thilo hat im Laufe der Jahre seine Nische gefunden: „Wir beschäftigen uns ja eher mit Dingen, die ein bisschen neben der Spur liegen. Mit den alten Sportgeräten haben wir vor 20 Jahren angefangen. Da hat hier erst einmal jeder mit dem Kopf geschüttelt, was wir denn mit so alten, stinkenden Turnmatten aus Leder wollen“, erzählt er lächelnd.

Ein Lieferant gibt ihm damals den Tipp, es mal auf einer Händlermesse in Frankreich mit seinen Sportmatten zu versuchen. „Ich hatte die noch nicht aus dem Auto gezogen, da waren sie verkauft“, erinnert er sich an seine Anfänge.

Seine Kunden sind überwiegend Händler aus Frankreich, England und den Staaten. Die Qualität seiner Waren spricht sich rum. Manche Sportgeräte sind über 100 Jahre alt und alles, was ab den 50er Jahren produziert wurde, passt nicht in sein Portfolio. Aber wo findet er solche Raritäten? Überwiegend in Osteuropa. Am liebsten von Sportvereinen, die ihre Geräte gepflegt und gehegt haben. Zuerst sind es nur Ledermatten. Vor dem Weiterverkauf werden sie aber noch von ihm aufbereitet. Dafür näht er dann auch mal zehn Stunden lang mit Nadel und Faden die Nähte nach. Dann noch reinigen und einwachsen. Fertig. Nach und nach kommen noch andere Sachen hinzu: Pferde, Böcke, Sprossenwände …

Dann entdeckt er eine zweite Nische: Industriemöbel. Er liebt es, hohe Stückzahlen abzunehmen. 100 Lampen aus einer Fabrikauflösung? 40 Werkbänke? Meterweise Regale? Unzählige Spinde? Gekauft! „Der Verkauf hat mich immer erst an zweiter Stelle interessiert. Für mich war das Einkaufen viel wichtiger“, sagt er und blickt zu seiner Frau. Sie muss sich an die Mengen erst einmal gewöhnen. „Wo sollen die denn alle hin? Wann sollen wir das alles verkaufen? Das waren eher meine Gedanken und Thilo war einfach nur begeistert von dieser schieren Menge“, sagt sie rückblickend.

Er hat diesen Tunnelblick, wenn er auf der Jagd ist. Sehr selektiv. In Frankreich wartet man vor verschlossenen Toren, bis der Markt für die Händler aufmacht. Gleiche Chancen für alle. Die Türen öffnen sich zeitgleich. Da entwickelt man zwangsläufig Stürmerqualitäten. Als sie das Ladengeschäft vor elf Jahren in München eröffnen, fängt Eva an, ihn häufiger auf seinen Touren zu begleiten. Sie schaut auch mal nach rechts oder links und findet andere Objekte für den Verkauf. So ergänzen sich die beiden.

Der Markt hat sich verändert und Thilo weiß, wie wichtig es ist, mit der Zeit zu gehen. Viele seiner Kollegen beklagen den Preisverfall z. B. bei antiken Möbeln. „Wir haben das Glück, dass unsere Ware im Moment auch ein bisschen trendy ist“, stellt er fest. Aber er muss auch mit der Zeit gehen: „Solange man in der Lage ist, sich da anzupassen oder auch neue Dinge zu entdecken. Neue alte Dinge natürlich! Und sich auch mal umzustellen, dann funktioniert das.“

Denkt er auch mal ans Aufhören? Lieber nicht. Aber die Objekte könnten in ein paar Jahren ruhig etwas kleiner und handlicher werden. Noch ein Schlusswort? „Mir gefällt mein Leben so“, resümiert er zufrieden.

Interview: Caroline Pusch
Fotos: Deniz Saylan