Matthias Köhler

„Das ist Leidenschaft, die du in dir hast“

Matthias Köhler ist eine Legende in der Graffiti-Szene. Unter seinem Sprühernamen „Loomit“ gehörte er zu den ersten, die in Deutschland Züge und Wände anmalten. Was als Straftatbestand begann, wurde zu einer internationalen Sprayer-Karriere. Über drei Dekaden später steht Loomit immer noch an der Wand mit der Dose in der Hand. Und nebenbei erfüllt sich der Urban Artist seinen Traum von einem unabhängigen Leben.

München, 1985: Sieben Jugendliche wagen etwas, das in Deutschland noch nicht dagewesen ist. Die teilweise minderjährigen Sprüher malen einen „wholetrain“, sie besprühen einen kompletten S-Bahn-Zug. Die Aktion geht in die Annalen der deutschen Graffitikunst ein. Der „Geltendorfer Zug“ ist der offizielle Beginn von Graffiti in Deutschland und bis heute legendär. Die Polizei ist zunächst überfordert mit dieser neuen Art der Kriminalität, eine schnell gegründete Sonderkommission jedoch kann vier der Jugendlichen überführen. Einer davon ist der 16-jährige Matthias Köhler, der unter dem Namen Loomit zu einem der bekanntesten Graffiti Artists Deutschlands wird.

Seine Werke – anfangs noch Strafbestand, später städtisch geförderte Kunst im öffentlichen Raum – zieren unzählige Gebäude von Shanghai über Rio bis New York: „Ich hab die ganze Welt kennengelernt.“

„Es geht um Optik und Malerei, um schöne Bilder und ein gutes Gefühl… Und ich verdiene tatsächlich sogar noch Geld damit.“

Dass er das Sprühen zu seinem Beruf machen konnte, erfreut ihn zwar, beeindruckt ihn aber nicht weiter. Vielleicht auch, weil er die Graffiti-Karriere nie als Traum definiert hat. Diesen Beruf gab es ja nicht als er damals anfing zu „kritzeln“, wie er es nennt.

Das mit dem Graffiti war mehr ein Drive. Etwas, das du eben machen musst. Eine Leidenschaft, die du in dir hast, so groß, dass du dich in der Arbeit verlierst.

„Die Leidenschaft ist die Energie, die für dich arbeitet und du rufst das ab, was du permanent trainiert hast.“ In einem Interview erinnert sich Kulturmanagerin Astrid Weindl, die Loomit seit Mitte der 1980er Jahre kennt, an den ungeheuren Fleiß des jungen Künstlers: „Er hat jeden Tag von früh bis abends gearbeitet, gearbeitet, gearbeitet. Bis die Bilder fertig waren. Dann kam das nächste dran.“

Wenn Menschen über Matthias Köhler sprechen, schwingt oft ein Respekt mit, der über die Bewunderung seiner Kunst hinausgeht. Es ist das Anerkennen der Ernsthaftigkeit, mit der Loomit seiner Leidenschaft nachgeht. Er ist ein Arbeitstier, steht immer noch so oft er kann an der Wand. Und noch immer malt er regelmäßig mit Kollegen und Kolleginnen, er ist an echtem Austausch und Dialog interessiert und sich nicht zu schade, mit Nachwuchssprühern zu malen, wenn er sie für talentiert hält. Zudem kuratiert er die Street Art im Münchner Werksviertel-Mitte und organisiert Festivals wie das Frauen-Graffiti-Festival „Hands Off The Wall“, das im Juli 2021 in München stattfindet. Seine Leidenschaft für Graffiti und Street Art ist allumfassend. Schon zu Beginn seiner Laufbahn interessiert Loomit sich für Materialkunde. Auch Sicherheit ist essentiell für ihn, seit seiner Jugend sprüht er ausschließlich in Handschuhen, Schutzschuhen und mit Gasmaske. Er hat die Sache schon sehr früh sehr ernst genommen, für ihn war Graffiti nicht nur Rebellion, sondern vor allem Ausdruck. Kunst. Deshalb war ihm Qualität stets wichtig, und „die Qualität in München war schon immer sehr hoch“. Das ist auch sein Verdienst.

Und Loomit ist noch lange nicht am Ende. Seine Leidenschaft für die Sache ist zu groß, der Drive zu stark. An einem kalten, regnerischen Vormittag steht er vor einer überdachten Wand im Münchner Werksviertel-Mitte und malt den Untergrund für ein neues Bild. „Ist doch ideal hier, es regnet zwar, aber wir sind geschützt“, freut er sich. Während des Treffens zieht er kein einziges Mal sein Handy hervor. Er hat nämlich keins. „Ich bin kein Mensch für dieses Virtuelle, für das Digitale“, erklärt der 52-Jährige. Er gehöre zu den Leuten, die gerne Privatleben haben und lieber von Angesicht zu Angesicht reden. „Und ich weiß, dass ich durch ein Handy wahrscheinlich nicht mehr so wach wäre, sondern permanent abgelenkt und in einer anderen Welt. Ich sehe das ja bei vielen Kollegen, mit denen ich groß geworden bin, wie die heute drauf sind mit Instagram und sonst was und unter welchem Druck die stehen.“

Die Handylosigkeit gibt ihm Freiheit und Unabhängigkeit. Er kann sich auf seine Arbeit konzentrieren oder auf die Begegnungen, kann sich Zeit lassen, sich einlassen. Drei Mal in der Woche checkt er seine Emails. Außerdem habe er ein Festnetztelefon und einen Anrufbeantworter, das müsse reichen. Das Mobiltelefon in der Familie hat seine Frau, die Malerin Astrid Köhler.

Vor einiger Zeit haben die beiden einen kleinen Bauernhof südlich von Augsburg gekauft, den sie gerade renovieren. „Wir wollten ein Haus auf dem Land, um unabhängig zu sein.“ Momentan pendeln die Köhlers noch zwischen ihrer Münchner Wohnung und dem Landsitz: „Wir legen einen Garten an, bauen den Stadel und das Dach aus. Also, im Moment ist es weniger ein Traum, sondern noch ein täglicher Kampf“, sagt Loomit und lacht. „Aber ich merke, dass diese Art von Arbeit etwas anderes ist.“

Gartenarbeit entschleunigt, hier kommen die Nachbarn noch einfach so vorbei. Das gefällt mir sehr.

Aus der urbanen Szene will sich Loomit aber nicht verabschieden. In seinem Studio im Werksviertel organisiert er die nächsten Events und Kollaborationen.

Durch Graffiti hatte ich ein Leben voller Abenteuer und richtig cooler Begegnungen. Deshalb bin ich immer noch leidenschaftlich bei der Sache, weil ich weiß, wie man Menschen damit erreichen kann.

Interview: Sabine Magnet
Fotos: Deniz Saylan